! Aktualisiert am 27. November 2021
Christian und seine Familie aus Österreich sind “alte Neuseeland-Hasen”: 2012/13 haben sie bereits für ein Jahr im winzigen Motueka auf Neuseelands Südinsel gelebt, komplett mit Schulbesuch. Nach ihrer Familienauszeit in Neuseeland kehrten sie zurück nach Europa – aber nicht für lange…
Weltwunderer: Lieber Christian, ihr seid nach eurer Familienauszeit in Neuseeland zufrieden nach Österreich zurückgekehrt. Dann hieß es 2014 plötzlich doch “Auswandern nach Neuseeland” – wie kam es zu dieser Entscheidung?
Christian: Als wir nach unserem Neuseeland-Abenteuerjahr zurück nach Österreich flogen, hatten wir mit dem Thema gedanklich abgeschlossen. Wir waren damals überzeugt, so schnell nicht wieder nach Neuseeland zu kommen, da wir ja doch das meiste gesehen hatten – auch abseits der Touristenpfade. Einige Einheimische in unserem neuen Freundeskreis meinten sogar, wir hätten deutlich mehr von Neuseeland gesehen als die meisten Neuseeländer.
Unsere in Neuseeland antrainierten entspannten Lebensgewohnheiten wollten wir mit nach Europa nehmen. Das klappte auch – genau zwei Wochen lang. Danach mussten wir feststellen: Wir sind wieder in genau die gleichen Stiefel hineingesprungen, die wir zurückgelassen hatten. Als wären wir nur drei Wochen weg gewesen. Ich würde es mal als “das System” bezeichnen: Man steigt aus dem Flieger und passt sich unweigerlich automatisch dem Umfeld an.
Europa lässt eine enspannte Lebensweise wie in Neuseeland kaum zu. Dazu ist die ganze Umgebung viel zu “perfekt” organisiert, es gibt kaum noch Raum für Abenteuer und Pioniergeist. Zu wenig Platz für Kreativität und ‘Anders-sein’, wie wir finden.
Wir möchten diese 1,5 Jahre in Österreich aber in keinster Weise missen. Ich würde fast sagen, dass das zweimalige Hin-und-Her für uns notwendig war, um sicher zu sein, wohin wir letztlich wollen. Aber die Entscheidung war eindeutig: Neuseeland ist für uns der geeignetere Ort, um die Kinder großzuziehen.
WW: Wie haben eure Familien und Freunde reagiert?
Christian: Die Aussicht, den anderen nur noch gelegentlich zu sehen, löst natürlich nicht gerade Jubel aus. Andererseits hatte es sich wohl abgezeichnet, dass wir in der alten Heimat langfristig nicht glücklich würden. Viele Freunde haben bereits vor unserem ersten Neuseelandjahr prophezeit: “Die kommen nicht mehr zurück”. Irgendwie hatten sie dann doch Recht.
Unterm Strich muss man für die eigene Familie entscheiden, was das Beste ist, denn letztlich lebt man sein Leben nicht für die Anderen, sondern für die eigenen Wünsche und Träume.
WW: Habt ihr beim zweiten Mal Einwandern nach Neuseeland etwas anders gemacht als beim ersten Mal?
Christian: Unsere Familienauszeit in Neuseeland hatten wir von Anfang an als verlängerten Urlaub geplant. Wir kamen damals jeder mit nur einem großen und einem kleinen Koffer an. Trotzdem reichte es, um ein ganzes Jahr über die Runden zu kommen.
Beim Auswandern haben wir all unser Hab und Gut in einen 20-Fuß-Container gepackt und verschifft – nachdem wir bereits sehr vieles verkauft oder verschenkt hatten. Aus heutiger Sicht würde ich mir wünschen, wir hätten damals noch mehr Ballast abgeworfen.
Während unseres Neuseelandjahrs hatten wir ein möbliertes Ferienhaus gemietet, um nicht vor der Abreise alles überhastet verkaufen zu müssen. Jetzt war es unser Ziel, ein größeres Grundstück zu kaufen, um ein Haus zu bauen. Man braucht ja auch irgendwelche Monster-Projekte, oder?
Die Schule war bei der zweiten Ankunft wieder die gleiche: die “Motueka Rudolf Steiner”-Schule. Die Kinder tanzten vor Freude, als sie ihre alten Freunde wiedertrafen, von denen sie noch ein Jahr zuvor glaubten, sie nie wieder zu sehen.
Beruflich machte der Umzug letztlich keinen Unterschied, Online-Arbeitsplatz und virtueller Firma sei Dank. Die alte GmbH in Österreich wurde aufgelöst und als Ltd in Neuseeland neu gegründet. Wobei das Auflösen ein kostspieliger und extrem aufwändiger Akt war (offenbar kennen die Ämter Firmenauflösungen nur im Sinne von Insolvenzen?), die Neugründung hingegen mit 100 NZ$ und dem Ausfüllen eines Online-Formulars in zehn Minuten erledigt war.
WW: Wie läuft es mit der Einbürgerung bei euch?
Frag besser nicht… Da ich als Selbstständiger keine Möglichkeit auf ein “job offer” in der “Skilled migrant”-Kategorie hatte, blieb uns nur der Weg über das enorm umständliche “Entrepreneur Visa”-Programm.
Kurz zusammengefasst: Der erste Visa-Antrag ist für ein 12-Monate-Arbeitsvisum, das nur dazu genutzt werden darf, die zuvor in einem Businessplan beschriebene Firma zu gründen und Startkapital nach Neuseeland zu transferieren. Innerhalb der 12 Monate kann man dann einen zweiten Visa-Antrag für weitere 24 Monate stellen, in denen man seine neue Firma aufbauen und zu Gewinnen führen muss. Erzielt man dann noch einen wirtschaftlichen Vorteil für das Land (z. B. durch Exporte, neue Produkte oder die Schaffung neuer Jobs), kann man nach zwei Jahren den dritten und letzten Antrag für ein Residency-Visa einreichen. Auf jenes warten wir gerade.
Bei jedem Visa-Schritt haben wir mit unserem Einwanderungsberater einen Stapel von 5-10 cm Papier eingereicht. Da das auch alles übersetzt und geprüft werden will, ist das auch eine der kostspieligsten Visa-Optionen. Unterm Strich haben wir vermutlich schon weit mehr als 10.0000 Euro dafür ausgegeben.
WW: Wie fühlt es sich jetzt an, als Neu-Neuseeländer?
Christian: Wir sehen uns heute nicht mehr als Touristen, auch wenn wir gelegentlich bei der Tankstelle danach gefragt werden, wie lang wir denn im Ort bleiben. Unsere Aussprache verrät uns sofort. Wir werden wohl niemals echte Kiwis werden, unsere Kinder jedoch höchstwahrscheinlich schon. Bei ihnen ging nicht nur die typisch neuseeland-englische Aussprache direkt in Fleisch und Blut über, sondern auch lokale Gewohnheiten und Umgangsformen.
Seit etwa einem Jahr wohnen wir in unserem neuen Haus, das so weit wie möglich nach europäischen Standards gebaut wurde (Doppelverglasung, Heizung (!), vernünftige Küchengeräte). Ganz untypisch für Europäer haben wir aber auch unsere acht Schafe, zehn Hühner, jede Menge Obstbäume und einen Gemüsegarten, in dem wir einen guten Teil unseres Essens selbst anbauen. Eine Lebensweise, die in Europa vor Jahrzehnten dem Kommerz zum Opfer gefallen ist. Das nennt sich hier “Lifestyle Block”.
WW: Was ist eurer Meinung nach der größte Vorteil am Leben mit Kindern in Neuseeland?
Christian: Dass die Schule erst um 9 Uhr beginnt :-) Klingt banal, aber in Österreich mussten wir im Winter gefühlt “mitten in der Nacht” aufstehen, um die Kids um 7 Uhr zum Schulbus zu bringen, damit sie kurz vor 8 Uhr an der Schule waren. In Neuseeland reicht es, wenn sie gemütlich um 8 Uhr mit der Sonne aufwachen, ausgeschlafen frühstücken und dann um 8:50 Uhr in die Schule gebracht werden. Es ist alles deutlich entspannter.
Ansonsten denke ich, ist einer der größten Vorteile Neuseelands die geringe Bevölkerungsdichte. So etwas wie einen Stau haben wir (abgesehen von Auckland, das gerade am Kollabieren ist) bisher nirgends erlebt. Die meiste Zeit hat man nicht einmal jemanden vor oder hinter sich auf der Straße. Aber nicht nur im Verkehr, auch in anderen täglichen Situationen zeigt sich der Vorteil ganz klar. Man muss eigentlich nirgends warten. Weder beim Arzt noch bei der Anmeldung eines Autos. Alles geht in der Regel innerhalb von Minuten.
Für uns war dann noch einer der Hauptgründe, nach Neuseeland zu gehen, das freundliche Klima, das einem erlaubt, so gut wie alles anzubauen, was man möchte – von Äpfeln bis Melonen.
In unserer Salzburger Heimatregion in Österreich gab es außerdem keine Möglichkeit, ein bebaubares Grundstück mit mehr als 2.000 m2 zu kaufen, ohne dafür Millionen auszugeben. In Neuseeland haben wir nur 5 Minuten außerhalb der Kleinstadt Motueka ein geniales, 13.500 m2 großes Grundstück ganz oben auf einem Hügel mit Meer- und Bergblick gefunden – zu einem Preis, für den man in Salzburg nur einen winzigen Fleck mit kaum Garten bekommt.
WW: Gibt es auch Dinge, die euch nicht so gefallen?
Christian: Weihnachten im Sommer. Auch nach dem dritten Weihnachtsfest auf der Südhalbkugel fühlt es sich einfach nur falsch an, wenn sich die Sonnenstrahlen um 21:30 Uhr in den Christbaumkugeln spiegeln. Darüber werden wir wohl nie hinwegkommen!
Abgesehen davon: Was einem als Tourist in Neuseeland nicht sofort auffällt ist, dass das durchschnittliche Bildungsniveau im Land nicht sonderlich hoch ist. Von einer intellektuell geprägten Gesellschaft kann man leider nicht gerade sprechen, auch wenn es wie überall Ausnahmen gibt. Qualitätszeitungen gibt es zum Beispiel gar keine, aber wozu auch, wenn es immer etwas zum Thema Rugby zu schreiben gibt?
Ein Thema, das uns etwas sauer aufgestoßen ist, ist das “grüne Neuseeland”, das im Tourismus so gerne propagiert wird. Dabei ist Umweltschutz und das Bewusstsein für einen behutsamem Umgang mit Land und Boden in Europa DEUTLICH ausgeprägter als in Neuseeland. Was die Obstbauern hier übers Jahr so alles auf ihre Plantagen sprühen, geht auf keine Kuhhaut. “Roundup” aka Glyphosat ist allgegenwärtig, auf den Feldern, im Garten, überall. Wer die Traktoren mit den Sprühturbinen beobachtet hat, kauft garantiert nur noch Bioprodukte.
Dass man beim Supermarkteinkauf schief angeschaut wird, wenn man die dutzenden Gratis-Einkaufstüten an der Kasse ablehnt, zeigt, wie weit Neuseeland beim Thema Umweltschutz noch zurück ist. Gleichzeitig ist es verboten, diese Tüten mit dem anderen Plastik in den Recycling-Container zu werfen. Das sind die Momente, wo man sich für das Land schämen muss.
WW: Was würdet ihr anderen Familien empfehlen, die mit dem Gedanken ans Auswandern nach Neuseeland spielen?
Christian: Packt nicht sofort alles in einen Schiffscontainer, sondern testet es zuerst für eine begrenzte Zeit. Neuseeland ist nicht für jeden das perfekte Ziel!
Gute Vorbereitung ist alles. Die Einwanderungskriterien werden jedes Jahr verschärft und ich würde derzeit niemandem empfehlen, einfach mal hier aufzuschlagen und dann erst anzufangen, sich um ein Langzeit-Visum zu kümmern.
Der Großteil aller Unternehmen sind 1-bis-3-Mann-Betriebe. Das bringt viel Improvisation mit sich. Vieles ist vage, vieles wird aus Höflichkeit zugesagt, aber dann nicht gehalten, weil es nur als unverbindliche Floskel im Gespräch gesehen wurde.
Zeitangaben sind prinzipiell flexibel zu verstehen. Ein vereinbarter Termin um 9 Uhr kann sich auch mal bis 10 Uhr verzögern, weil man jemandem über den Weg gelaufen ist, mit dem man noch etwas plaudern musste. Das ist nicht böse gemeint, sondern ganz normal. Die Uhren ticken halt etwas langsamer. Mit typisch deutschem Beharren auf Präzision und Recht läuft man hier garantiert gegen Wände.
WW: Was hat es mit eurem neuen Projekt “Ein Jahr Kiwi” auf sich?
Christian: Über die Jahre haben wir uns relativ viel Wissen angeeignet, wie man eine Neuseeland-Auszeit mit Familie organisieren kann. Also dachten wir, es wäre schade, wenn das in einer Schublade verstaubt, während andere vor ähnlichen Herausforderungen stehen.
Im Internet gibt es bereits sehr viel Informationsmaterial für junge Leute, die vor dem Studium ein Neuseeland-Jahr einlegen möchten, aber im Allgemeinen herrscht die Meinung: “Wenn man mal Job und Familie hat, kann man so etwas nicht mehr machen.”
Falsch! Speziell hier in Motueka sehen wir jedes Jahr viele Familien mit Kindern zwischen drei und 16 Jahren ankommen. Genau an jene richtet sich unsere Website EinJahr.kiwi bzw. die englische Fassung OneYear.kiwi.
Wir geben einen Schritt-für-Schritt Leitfaden (ganz ohne kommerzielle Absichten!), wie man so eine Neuseeland-Auszeit mit Kind organisiert, egal ob nur für drei Monate oder ein ganzes Jahr. Ob es bei einem einmaligen Abenteuer bleibt oder man es als Test für eine spätere Auswanderung nimmt wie wir, spielt dabei keine so große Rolle.
Seit dem Start der Website vor ein paar Monaten haben wir schon sehr viel Zuspruch und Dank von Abenteuer-Interessierten aus der ganzen Welt erhalten. Einige davon wagen schon nächstes Jahr den Schritt nach Neuseeland!
WW: Wir gratulieren aus ganzem Herzen zu eurem neuen Projekt und hoffen, dass ihr euren Weg weiter so gehen könnt! Wer weiß – vielleicht brauchen wir Weltwunderer euren Rat ja auch einmal ;-)
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