! Aktualisiert am 1. April 2022
Neuseelands Grenzen sind dicht, Corona soll keine Chance haben, erneut ins Land zu kommen. Trotzdem werden Stimmen lauter, die sich gegen die strenge Corona-Isolationspolitik wenden. Muss Covid-19 wirklich ausgerottet werden, und welchen Preis sollen die Neuseeländer*innen dafür zahlen? Wir diskutieren das Für und Wider.
Inhalt
Corona-Einreisestopp: niemand kommt mehr rein nach Neuseeland
Neuseelands Grenzen sind dicht, und zwar fast komplett. So dicht, dass inzwischen nicht einmal mehr Neuseeländer*innen mit Staatsbürgerschaft (“permanent residency”) reinkommen, wenn sie nicht bereits ein Flugticket haben. Weil die Isolierungs-Einrichtungen an ihrer Kapazitätsgrenze sind und aber immer mehr Kiwis heimkehren wollen – wer kann es ihnen verdenken angesichts weltweit steigender Corona-Fälle? -, hat die Regierung die Schotten dicht gemacht.
Nach Absprache mit Air New Zealand und anderen Fluggesellschaften wurde Anfang Juli festgelegt: Für mindestens drei Wochen werden keine neuen Flugtickets mehr verkauft – wer noch keines gebucht hat, muss weiter warten (Quelle). Ob das rechtmäßig war? Ob es moralisch richtig ist, Kiwis von der Rückkehr in ihr Heimatland abzuhalten?
Viele Neuseeländer sagen: ja, bleibt draußen. Sie hätten so viel geopfert, um das erste Corona-freie Land der Welt zu werden – und nun kommen täglich neue Menschen, die in einigen Fällen das Covid-19-Virus wieder mitbringen (und tatsächlich nach 102 Tagen für einen erneuten größeren Corona-Ausbruch sorgten, der den Großraum Auckland in einen zweiten Lockdown versetzte). Auch der Fakt, dass die teure Isolierungsunterbringung auf Staatskosten erfolgt (mehr dazu weiter unten), bringt viele Kiwis auf die Palme.
Grenzen geschlossen halten, auf Teufel komm raus?
Nicht alle Kiwis sehen das so, im Gegenteil. Der Unmut über die herben wirtschaftlichen Einschnitte durch den Corona-Einreisestopp wächst – und die Angst, dass Neuseeland sich unnötig selbst in die Rezession isoliert.
Drei politische Schwergewichte haben im Namen vieler anderer Neuseeländer*innen eine Strategie gefordert, Neuseelands Grenzen wieder zu öffnen – nicht sofort, aber doch bitte in absehbarer Zeit. In dem Dokument “Re-engaging New Zealand with the World” (Originaltext hier) äußerten sich Rob Fyfe, ehemaliger Chef von Air New Zealand, Ex-Premierministerin Helen Clark und der ehemalige oberste wissenschaftliche Regierungsberater Sir Peter Gluckman.
Sie fragen, wie lange der aktuelle Corona-Einreisestopp in Neuseeland noch fortgesetzt werden soll – und kann.
Neuseelands Corona-Strategie: eindämmen oder ausrotten?
Das Ziel, Covid 19 komplett auszurotten, ist löblich, aber kaum realistisch – da sind sich alle Virologen und Epidemiologen einig. Selbst für Neuseeland geht man davon aus, dass man das Virus praktisch ausgerottet habe, wenn weiterhin sehr wenige, nachverfolgbare Fälle auftreten. Wozu also der heilige Eifer, mit dem die Ausrottung des Corona-Virus im Land als Ziel über alles andere gestellt wird?
Noch im Februar verfolgte man in Neuseeland sehr publikumswirksam die Strategie “Flatten the Curve”; Hauptziel war es wie in vielen anderen Ländern, das Gesundheitssystem nicht kollabieren zu lassen. Dann kamen der Lockdown und das neue Ziel: Ausrotten. Die Neuseeländer*innen haben viel dafür geopfert; entsprechend ablehnend sind sie gestimmt gegen jegliche Ideen, wieder neue Risiken zuzulassen. “Wofür haben wir so hart gekämpft?”, fragen sie sich.
Das Motto “Abschotten, bis der Impfstoff kommt” könnte allerdings einen sehr langen Atem brauchen. Selbst wenn eine Impfung gegen Corona schon Anfang 2021 entwickelt und einsatzfähig wäre – wer garantiert, dass Neuseeland genug Impfdosen für seine gesamte Bevölkerung kaufen kann? Wer weiß, ob der Impfstoff 100%-igen Schutz bieten wird, und ob er z.B. auch für Kinder und Kranke zugelassen sein wird? Wer weiß überhaupt, ob sich alle Neuseeländer*innen impfen lassen würden? (Vehemente Impfgegner gibt es nicht nur in Deutschland ;-))
Den Preis für die strikte nationale Corona-Strategie “Keep it out, stamp it out” zahle die neuseeländische Wirtschaft und damit am Ende jeder Einwohner und jede Einwohnerin Neuseelands.
In der Anfang Juli veröffentlichten Erklärung fragen die VIP-Politiker*innen: “Wir setzen all unsere Hoffnungen auf einen Impfstoff, aber dieser könnte länger auf sich warten lassen als gedacht. Können wir es uns leisten, in fast totaler physischer Isolation ein weiteres Jahr, zwei Jahre oder noch länger zu verharren?“
Wie hoch darf der Preis werden, den man für die Isolation zu zahlen bereit ist?
Betroffen von der fast kompletten Abschottung ist ja nicht nur die Tourismusbranche, die praktisch zum Erliegen kam. Auch der Bildungssektor und die Exportwirtschaft müssen durch den Corona-Einreisestopp krasse Einbußen hinnehmen, und das ohne Aussicht auf baldige Änderung. Aber auch das Image, mit dem Neuseeland weltweit wahrgenommen wird, leidet – ein Land, in das niemand einreisen darf, verliert seine wirtschaftliche und politische Bedeutung in der Welt.
Isolation und Quarantäne: so schützt sich Neuseeland vor Corona
Aktuell wird jeder, der in Neuseeland ankommt – und das dürfen sowieso nur Staatsbürger und solche, die einen deutlichen wirtschaftlichen Vorteil bringen – verpflichtend unter staatlich überwachte Quarantäne gestellt. Das heißt, man wird für 14 Tage auf Staatskosten in einem von 28 Hotels in Auckland, Hamilton, Rotorua, Wellington oder Christchurch untergebracht (und das sind, da ja genug Platz zum Isolieren notwendig ist, durchweg hochklassige Hotels). Corona-Tests werden zweimal durchgeführt, an Tag 3 und Tag 12.
Ab Anfang August müssen die meisten Rückkehrer (es gibt Ausnahmeregelungen für Härtefälle) für ihren Aufenthalt in der überwachten Isolierung 3.100 NZ$ bezahlen; für jeden weiteren Erwachsenen einer Reisegruppe fallen 950 NZ$ an, Kinder zahlen jeweils 475 NZ$. Diese Regel gilt für alle, die Neuseeland seit ihrem Inkrafttreten verlassen oder die das Land für weniger als 90 Tage besuchen.
Leider hat sich medienwirksam herausgestellt, dass selbst diese strengen Maßnahmen nicht ausreichen bzw. nicht streng genug kontrolliert werden, um eine neue Verbreitung des Virus im Land zu verhindern (-> wir haben berichtet). Wenn Corona-Tests einfach vergessen werden, wenn Hygieneregeln nicht ernst genommen werden oder die Regeln aus Mitgefühl gelockert und nicht mehr eingehalten werden, dann nützen auch die besten Regelsysteme nichts.
Gesundheitsminister David Clark, der sich seit Beginn der Corona-Pandemie schon einige Kracher geleistet hatte, nahm deshalb nun seinen Hut. Aber das ändert am grundsätzlichen Problem ja nichts.
Mit wie vielen Menschen kann dieses strenge Einreise-Regime denn maximal funktionieren? Derzeit reisen nicht mehr als 250 Menschen am Tag nach Neuseeland ein. Aber die Zahl der Flüge steigt, und damit auch die Zahl der heimkehrenden Neuseeländer*innen. Einige waren im März auf Reisen gestrandet, andere kehren nach jahrelangem Leben im Ausland zurück, weil sie in Neuseeland auf Sicherheit hoffen (oder z.B. in Australien keinen Anspruch auf Sozialhilfe haben, wenn sie dort ihren Job verloren haben).
Eine langfristige Corona-Strategie in Neuseeland: wie könnte sie aussehen?
Die Zahl der Einreisenden wird zwangsläufig weiter steigen. Wie wird Neuseeland im Rahmen der aktuellen Strategie damit umgehen? Wie viele Hotelbetten kann Auckland bieten, und wie viele kann der Staat bezahlen? Die neue Einreisegebühr wird die insgesamt anfallenden Kosten für die Corona-Quarantänemaßnahmen wohl nur unerheblich senken; es werden Einnahmen von etwa 10 Millionen NZ$ dadurch erwartet, dem gegenüber stehen geschätzte Kosten von 500 Millionen NZ$ bis Ende 2020.
Was aktuell passiert, sind keine langfristigen Lösungen. Neuseeland muss dringend darüber nachdenken, wie man die Einreisekontrollen vereinfachen und massentauglich gestalten kann. Könnte man z. B. schon vor dem Abflug auf Corona testen, sowohl auf Antigene als auch auf RNA? Könnte man das verbinden mit einem Schnelltest bei der Ankunft in Neuseeland, gefolgt von einer kürzeren Quarantäne für Reisende aus Low-Risk-Ländern?
Könnte man für solche Niedrigrisiko-Gäste ein anderes Protokoll für die überwachte Selbst-Isolation entwickeln? Das könnte für Langzeit-Touristen, Geschäftsreisende, Highschool-Schüler*innen und Studierende gelten. Überhaupt: Warum dürfen die neuseeländischen Universitäten, die in hohem Maß von Studiengebühren ausländischer Studierender abhängen, nicht selbst Quarantäne-Quartiere für ihre Studenten anbieten?
Bisher heißt es, solche Maßnahmen wären zu aufwendig und zu teuer. Aber kann man das wirklich als Argument bringen, um neuseeländische Staatsbürger noch länger von der Rückkehr abzuhalten? Ganz zu schweigen von den zehntausenden Inhaberinnen und Inhabern von „Work Visa“, die zum Teil Jahrzehnte in Neuseeland gelebt und gearbeitet haben und dort ihren Lebensmittelpunkt und ihre Familien haben. Wie eiskalt Neuseeland diesen Wahl-Kiwis die Tür vor der Nase zugeschlagen hat, lässt mich und viele andere frösteln (-> ein Artikel darüber aus dem Tagesspiegel).
Auf der anderen Seite ist es offenbar kein Problem, Ingenieure aus Deutschland oder eine Filmcrew aus Kalifornien einreisen zu lassen. Die sind ja wichtig.
Goodbye, Trans-Tasman Travel Bubble!?
Noch wichtiger erscheint die Forderung nach einer neuen, praxistauglichen Langzeitstrategie angesichts der – schwindenden – Hoffnung auf eine „Trans-Tasman Travel Bubble“ mit Australien und einigen Pazifikstaaten.
Noch im Juni hatte es danach ausgesehen, als wäre auch der große Nachbar auf dem besten Weg, Corona im eigenen Land zu besiegen. Dann zwangen neue Ausbrüche in mindestens einem Bundesstaat sogar zu lokal beschränkten neuen Lockdowns. Die Einwohner von Melbourne mussten erneut für mindestens sechs Wochen zu Hause bleiben (Quelle). So lässt man die Australier natürlich nicht einreisen!
Auch die erhoffte neue Reiseverbindung mit Singapur hat sich vorerst wieder zerschlagen. Andere pazifische Staaten, mit denen man gegenseitige Austausch-Öffnungen vereinbaren könnte, verfolgen die Corona-Eliminierungsstrategie nicht, die Neuseeland aber so wichtig ist und höhere Anforderungen an das Einreisemanagement stellt.
All das ist misslich für die Australier und die Kiwis, die gern mal wieder Urlaub im Ausland machen wollen. Aber es ist verheerend für die Tourismusbranche – nun fallen auch noch die Einnahmen aus dem Skitourismus weg, die normalerweise auf winterverrückten Australiern basieren. Der Inlandstourismus erlebt zwar einen Aufschwung, aber Neuseeländer*innen reisen anders als ausländische Gäste und geben ihr Geld anders aus (-> zum Weiterlesen).
Für eine Rettung des Tourismussektors wird es nicht ausreichen, die Kiwis zu Reisen “im eigenen Hinterhof” zu motivieren. Zumal genau die es ja sind, denen seit März Einkommen und Jobs in großem Maß weggebrochen sind. Wer keine Arbeit mehr hat, der macht auch keinen Urlaub. Und er macht anders Urlaub als Touristen aus Übersee, die zu ihrer “one in a lifetime”-Reise herkommen, mehrere Wochen lang bleiben und tausende gesparte Dollars für Heli-Ausflüge, Bungee-Sprünge und Luxus-Lodges ausgeben.
Wie Neuseeland zukünftig mit dem Corona-Virus umzugehen gedenkt, dürfte in den nächsten Wochen zu spannenden Diskussionen führen – denn im Oktober wird gewählt…
Eins ist schon mal sicher: Wann wir Normalo-Touristen wieder nach Neuseeland reisen können, steht vorerst in den Sternen.
-> Wann dürfen wir wieder nach Neuseeland reisen? Ein Blick in die Glaskugel…
-> Wie sah es während des Lockdowns in Neuseeland aus?
-> Was solltet ihr jetzt tun, wenn ihr einen Flug nach Neuseeland gebucht habt?
Was meint ihr, wie lange wird Neuseeland den Corona-Einreisestopp noch durchhalten?
- Wellington mit Kindern: die besten Tipps für 1, 2 oder mehr Tage - 21. Dezember 2024
- Neuseeland mit Kind Karte: mehr als 450 Tipps für Familien auf Google Maps! - 25. Oktober 2024
- DOC Campsite Pass in Neuseeland: Lohnt er sich für Familien? - 5. Oktober 2024