! Aktualisiert am 27. September 2017
Der Sommer ist eine tolle Zeit in Japan. Nicht unbedingt wegen des Wetters (heiß!!), sondern wegen der vielen Feste. Vor allem während der buddhistischen Obon-Woche im August feiert ganz Japan im Gedenken an die Seelen der Ahnen. Das Feuerwerk in Kyoto verpassten wir leider, aber zum Awa Odori auf Shikoku kamen wir gerade richtig!
Aufgeregt fuhren wir in der einsetzenden Abenddämmerung nach Tokushima hinein. Hinter uns lag schon ein langer Tag am Strand, wir waren vom Surfen und Baby-aus-tiefem-Wasser-retten (in das es sich beharrlich stürzte) ordentlich erschöpft. Aber niemand war mehr müde, als wir auf den belebten Straßen der Provinzhauptstadt immer mehr kostümierte Menschen entdeckten und die charakteristischen Klänge von Flöten und Trommeln hörten.
Die eingängige, immer gleiche Melodie hing uns schon seit einigen Tagen im Ohr fest. Auf einem Übernachtungsparkplatz auf der vorgelagerten kleinen Insel Awaji hatten wir einer japanischen Großfamilie zugeschaut, die mit viel Kichern ihre Tanzaufführung für das Festival einstudierte. Das machte uns neugierig.
Der Reiseführer verriet nicht allzu viel: Zum wichtigsten Tanzfestival Japans reisen Teilnehmer aus allen Teilen des Landes nach Shikoku, auf die kleinste der vier Hauptinseln. Während des Festivals, das eine ganze Woche dauert, treten über 100.000 Tänzer auf. Männer und Frauen tanzen in Gruppen verschiedener Größe, gemeinsam, aber dennoch getrennt. Sie tragen unterschiedliche Kostüme und machen unterschiedliche, genau festgelegte Bewegungen.
Jede Gruppe führt eine eigene Variante desselben Themas auf und singt dazu immer dasselbe kurze Lied: „Tanzende Narren/und zuschauende Narren. Wenn beide Narren sind/warum dann nicht tanzen?“ Genauso absurd wie der Text sieht auch der Tanz aus – ein albernes, wildes Drehen, Springen und Hopsen im sonst so zurückhaltenden, dezenten Japan.
Unser Terminplan passte perfekt: Wir mussten ohnehin in Tokushima übernachten, weil wir am nächsten Morgen mit der Autofähre von Shikoku auf die Kii-Halbinsel übersetzen wollten. Heute Abend war also Festivalbesuch angesagt – mit den Kindern, die so aufgeregt waren wie an Silvester.
Das Stadtzentrum von Tokushima war absolut vollgestopft, lange Warteschlangen stauten sich vor den Parkhäusern, überall standen Ordnungskräfte und wiesen Autos und Passanten sehr höflich mit „Leuchtschwertern“ den Weg. Als geübte Großstädter bogen wir in eine finstere Nebenstraße, fanden dort einen kostenfreien Parkplatz und machten uns dann zu Fuß auf, immer dem Klang der Musik nach.
Junge Männer, alte Frauen und kleine Kinder waren unterwegs, unterhielten sich, lachten und kauften Snacks an Straßenständen, die wir bisher nur selten in Japan gesehen hatten. Viele Besucher waren traditionell in Kimono (festlich, aber total unpraktisch) oder Yukata (mittelschick, aber angenehm luftig) und die typischen japanischen Holzpantinen (getas) gekleidet und wedelten sich mit Fächern aus Stroh oder Plastik Luft zu. Dazwischen liefen die Tänzerinnen und Tänzer in weißen Socken und mit eigentümlich geformten Strohhüten herum und bereiteten sich auf ihre Auftritte vor.
Ein Regenschauer aus heiterem Himmel trieb alle quietschend in Deckung und ließ einen Wald aus Schirmen aufblühen. Wir nutzten die Zeit, um uns mit pappsüßer Limonade und frittierten Reisbällchen einzudecken, und waren wieder einmal erstaunt, dass die jungen Verkäufer mit ihren modischen Fönfrisuren und Piercings kein Wort Englisch verstehen.
Wir entdeckten eine Tribüne und quetschten uns durch die Zuschauer nach vorn, natürlich mit vielen angedeuteten Verbeugungen und entschuldigendem „Sumimasen!“ Es war wirklich proppenvoll, aber niemand drängelte oder schimpfte. Fasziniert schauten wir zu, wie eine Tanzgruppe nach der anderen an der etwa 50 Meter langen Tribüne vorbeizog. Die Kostüme waren alle gleich, und doch immer wieder anders, genauso wie die Tanzschritte und Choreografien.
Während einige Gruppen offensichtlich Profis waren und mit ernsten Gesichtern eine fernsehreife Show für die vielen laufenden Kameras ablieferten, trugen andere kleine Kinder auf dem Arm, zogen bei ihren Sprüngen lustige Grimassen und umarmten sich am Ende voller Freude über den gelungenen Auftritt.
Ein Blick nach hinten zeigte mir, dass die Attraktion in Tokushima heute Abend für viele Besucher nicht der Awa Odori war, sondern die europäische Familie mit den drei Kindern. Smartphones filmten nicht mehr die Tanzgruppen, sondern unser Baby, das mit großen Augen in der Babytrage auf meinem Rücken saß und im Rhythmus der Trommeln wippte. Ihre feuchten Löckchen wurden zögernd berührt, alte Damen fächerten ihr fürsorglich frische Luft zu.
Eine junge Frau zwei Reihen weiter hinten winkte mir zu und deutete auf den Weltwundersohn, der ein paar Schritte weitergelaufen war – nicht, dass wir ihn verlieren! Ich drehte mich beruhigt wieder nach vorn. In Japan kann uns wirklich nichts passieren, noch nicht einmal auf einem Festival mit 1,3 Millionen Besuchern.
Das Awa Odori findet jeden August während der gesamten Obon-Woche in Tokushima statt. Der Eintritt auf das Gelände ist frei. Will man einen Sitzplatz auf einer der Tribünen haben (die seht ihr auf unseren Fotos rechts und links am Bildrand), kostet das natürlich etwas, ist aber wirklich nicht unbedingt nötig. Tipp: einen Regenschirm dabeihaben, falls es wie bei uns plötzlich anfängt zu schütten, und vorher im Supermarkt Wasser für die Kinder kaufen. Auf dem Gelände gibt es nur Limo und Cola, und die ist ziemlich teuer.
Unterkünfte sind für diese Zeit angeblich Monate im Voraus ausgebucht – mit dem Campervan fanden wir aber sowohl einen kostenlosen Parkplatz nur wenige Laufminuten vom Festivalgelände entfernt, als auch einen perfekten Stellplatz zum Übernachten am Stadtstrand. Den findet ihr am besten über Google Maps, oder in unserer Liste der Campervan-Stellplätze in Japan.
Dieser Text ist in anderer Form in der aktuellen Ausgabe der NIDO zu lesen – kauft sie euch und lest mehr über unsere Abenteuer in Japan!
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Ein wunderschöner Artikel. Ich konnte so richtig mit eintauchen. Und muss mal wieder feststellen, dass ich trotz der heißen Temperaturen doch dringend im Sommer mal nach Japan muss. Diese Jahreszeit fehlt mir als einzige noch und dabei gibt es so vieles zu entdecken.
So einen richtigen Awa Odori würde ich gern mal sehen, in Tokyo gibt es zur gleichen Zeit den Bon Odori, aber das ist noch einmal etwas anders, glaube ich. Ein sehr schöner Beitrag, sowohl die Fotos als auch die Beschreibung.