! Aktualisiert am 15. Juli 2021
Egal, wann und wo und welche Neuseeländer ihr unterwegs treffen werdet, die erste Frage an euch wird ziemlich sicher lauten: „How do you like New Zealand?” Es gibt nur eine Antwort, die hier angemessen ist: „It’s gorgeous, I love New Zealand!” (oder ähnlich). Warum ihr die Frage nur auf diese Weise beantworten solltet und wieso sie Besuchern aus dem Ausland überhaupt ständig gestellt wird, darüber denken wir in diesem Beitrag nach.
Die richtige Antwort auf die typische Kiwi-Frage: „How are your holidays in our country?” erkennt man schon an den leuchtenden Augen der Fragesteller. Hier ist Begeisterung gefragt, denn jeder Einheimische ist von Neuseeland begeistert – wenigstens gegenüber Besuchern.
Eure Pflicht ist also immer eine Antwort wie „We are having a great time” oder „New Zealand is the most beautiful country in the world!” Nicht erwünscht ist eine typisch deutsche Antwort, mit einer guten Portion Meckerei: „Das Internet ist furchtbar langsam, euer Brot schmeckt wie Löschpapier und irgendwie regnet es hier viel öfter, als es in den tollen HD-Neuseeland-Dokus gezeigt wurde!” Noch viel schlimmer wäre es, den Insider hervorzukehren und über Neuseelands Umweltverschmutzungs-Problematik zu dozieren oder die nach wie vor starken sozialen Unterschiede zwischen Maori und europäischen Einwanderern anzuprangern.
Der Hintergrund: ein küchentisch-psychologischer Versuch
Nicht nur die Kiwis haben ein Problem mit ihrem Selbstwertgefühl (als Nation, versteht sich – nicht als Individuen!). Die Sucht der Einwohner nach Komplimenten für ihre Heimat scheint ein generelles Charakteristikum von Kolonialstaaten zu sein. Klar, dass Neuseeland als kleinstes und jüngstes kolonisiertes Land – die Besiedlung durch Europäer liegt hier erst knapp 200 Jahre zurück – hier einen Spitzenplatz einnimmt.
Auch in Staaten wie Australien oder den USA beobachten Sozialforscher das Bedürfnis der Einwohner nach „positiver Identitätsverstärkung”, nur ist es hier schon sublimiert zu einer sehr selbstsicheren (andere finden: arroganten), flaggenschwenkenden Überzeugung, das eigene Land wäre nun mal das beste der Welt.
Die Küchentisch-Psychologie erklärt das so: Wenn man nach langem Überlegen seine gesamte Habe zusammenpackt, seine Heimat verlässt und ein neues Leben auf der anderen Seite der Welt beginnt, ist man – unbewusst! – für immer von nagenden Zweifeln geplagt, ob man die richtige Wahl getroffen hat. Wäre es woanders besser gelaufen, hätte man womöglich zu Hause ein besseres Leben gehabt?
Unser Lieblings-Kiwiblog Kiwianarama (inzwischen leider offline) interpretiert das Phänomen als „tiefsitzende Angst der Kiwis, ihre Heimat könnte vielleicht einfach nur scheiße sein”.
Die eingewanderten Neuseeländer brauchen also die ständige Rückversicherung, dass sie die richtige Wahl getroffen haben: Dass ihre neue Heimat das schönste Land der Welt ist. Daher wurden uns außer „Where do you come from?” kaum einmal weitere Fragen nach unserem Herkunftsland gestellt. Und darum spielen internationale Geschehnisse in den neuseeländischen Medien eine krass untergeordnete Rolle (außer es geht um Sport).
Es interessiert die Kiwis einfach nicht so sehr, wie es woanders aussieht – Hauptsache, hier bei ihnen ist alles gut.
Und sie haben ja Recht – Neuseeland ist wirklich ein großartiges Land zum Leben. Deshalb fällt uns Besuchern die begeisterte bis neidische Antwort auch nicht schwer, und deshalb tummeln wir uns alle in Neuseeland-Gruppen auf Facebook und schwärmen dort gemeinsam.
Kleines Land, weit weg – das hat psychologische Folgen
Kennt ihr das Gefühl von sofortiger Verbundenheit, das man empfindet, wenn man auf einer Party andere Neuseeland-Rückkehrer kennenlernt? Wir NZ-Fans können uns ein wenig wie Insider fühlen, weil Neuseeland trotz steigender Besucherzahlen seit dem „Lord of the rings”-Hype immer noch ein Geheimtipp ist. Das Land am anderen Ende der Welt ist halt sehr weit weg und spielt tagespolitisch kaum eine Rolle.
Zur Sucht nach positiver Identitätsverstärkung gehört daher noch eine zweite, sehr wichtige Komponente: das „Small Country”-Syndrom der Neuseeländer. Wir Deutschen Europäer können uns gar nicht vorstellen, wie es ist, wenn das eigene Heimatland als Fliegenschiss am rechten unteren Weltkartenrand klebt (oder gar fehlt!) und bei BBC World News quasi nie erwähnt wird, es sei denn, es geht um Football.
Die logische Folge, neben der ständigen Fragerei: Alle Kiwis geben sich redliche Mühe, ihr Heimatland und ihre Heimatstadt möglichst toll zu präsentieren. Habt ihr euch schon mal gewundert, wieso ihr bei einem Roadtrip durch Neuseelands Hinterland ständig auf Ortschaften stoßt, die sich als „Gummistiefel-Welthauptstadt”, „Hauptstadt des Brotes” oder „Welthauptstadt des Schafscherens” stilisieren? Dass ihr an vielen Ortseingängen auf gigantische Statuen von Obst, Forellen oder Flaschen trefft?
All das sind Versuche, der eigenen Heimat ein wenig Bedeutung zu verleihen und nach Beachtung zu rufen. Die einen mögen es verzweifelt nennen, die anderen finden die Energie (und die oft zu bemerkende Selbstironie hinter dem Ganzen) enorm liebenswert.
Also noch einmal die Erinnerung: Auf Fragen wie „How do you like New Zealand?” antwortet ihr kurz und mit unkritischer Begeisterung. Ihr werdet kaum einen Neuseeländer treffen, der genug Selbstironie oder auch nur Selbstsicherheit hat, mit einer kritischen Antwort umzugehen. Lasst es also sein. Es sei denn, ihr wollt den Fragenden in tiefe Depressionen stürzen (oder ein blaues Auge riskieren).
Eigentlich ist die Frage einfach das Kiwi-Äquivalent zum amerikanischen „How are you?” Auch hier wird ein einfaches, ritualisiertes „Danke, gut” erwartet.
Nach all den psychologischen Betrachtungen könnte man allerdings auch philosophieren, dass Neuseeländer diese Frage gleichzeitig auch immer an sich selbst stellen: Sie fragen sich, was es heißt, Neuseeländer zu sein, und ob sie damit zufrieden sind.
Was sind eure Erfahrungen mit den Kiwi-Eigenarten, und was haltet ihr von unserer These?
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Ich lese euren Blog total gerne :)
Wenn ihr findet, dass das Weltgeschehen in den neuseeländischen Nachrichten unterrepräsentiert ist, dann schaut euch mal US-Amerikanische Nachrichten (kein Nachrichtensender, sondern normale TV-Sender) an. *Das* ist schlimm! 30 Minuten Nachrichtensendung, davon 15 Werbung, 7 „lokaler Mord und Totschlag“, 5 Sport, 2-3 Wetter und evtl. noch ein Satz für etwas außerhalb des Landes.
Abgesehen davon stimme ich euch voll und ganz zu!
Grusel, du hast Recht. Dann schon lieber “Die Erdbeeren sind reif” oder “Kind fällt in Eimer”, wie die Schlagzeilen in Neuseeland oft lauten! ;-)
….ich hätte es nicht besser sagen können….
…und ihr versteht mich, wenn ich es gesagt hätte….