“Was ist das Besondere an kleinen Städten?”, fragt Susi von blackdotswhitespots in ihrem Blog und zahlreiche Reiseblogger versuchen sich an einer Antwort. Wir versuchen es auch und erklären in dieser Blogparade, warum kleine Städte für uns geradezu idealtypisch für Neuseeland stehen (und wie die Wellblechtier-Häuser von Tirau entstanden sind).
Der englische Begriff “town” erzählt viel über die Entstehung von Kleinstädten: Anstatt wie richtige Städte eine feste Mauer hochziehen zu können (oder zu dürfen), musste man sich mit einem “Zaun” (das ist nämlich der Ursprung des englischen Wortes) begnügen. Aus der Bezeichnung für das Drumherum wurde irgendwann die Bezeichnung für das Drin.
In Neuseeland gilt als “Kleinstadt”, also “town”, einfach ein Siedlungsgebiet, das zu klein ist, um als Stadt, also “city”, zu gelten. Diese Kleinstädte haben Pi mal Daumen zwischen 1.000 und 20.000 Einwohner. Taupo, Timaru und Blenheim haben allesamt mehr, gelten aber trotzdem nicht als “cities”. Nicht einmal Queenstown, die “Adrenalin-Hauptstadt”, ist strenggenommen eine Stadt!
Wir haben viele Lieblings-Kleinstädte in Neuseeland, die uns, obwohl wir meist nur kurz da waren, liebevoll empfangen und mit etwas ganz besonderem in Erinnerung geblieben sind.
In Warkworth genossen wir in einem japanischen Restaurant mit Familienanschluss köstliches koreanisches Kimchi, das uns die Betreiber eifrig und kostenlos servierten – endlich jemand, mit dem man über Kimchi fachsimpeln konnte! In Waikouaiti ließen wir die Seele baumeln und trafen mystische, flötenspielende Feen Damen am Strand, in Twizel mochten wir den schönen Spielplatz und die Radio-Twizel-Beschallung auf der Public Toilet.
Geraldine überraschte mit dem kinderfreundlichsten Campingplatz aller Zeiten, Balclutha mit pieksauberem Stadtpark mitsamt Schulprojekt und leckeren Birkenpilzen; Riverton verzauberte uns mit einem fast tropisch anmutenden Strand samt Fischerbooten und in Waihi lernten wir im Goldminen-Museum, dass man sich für alles begeistern kann – wenn es gut präsentiert wird.
Picton und Wanganui sind echte Schmuckstückchen, aber ungeschlagen ist Tairua, wo wir gern noch länger geblieben wären als sowieso schon.
Das ist aber nicht alles, was sich über Neuseelands Kleinstädte sagen lässt.
Da in Neuseeland alles nahe beieinander liegt und heutzutage sowieso alle zum Arbeiten und Shoppen in die nächste Großstadt fahren, verschwimmen die Grenzen von Kleinstädten oft: So gelten Paekakariki, Paraparaumu, Raumati und Waikanae an der Kapiti Coast nördlich von Wellington als “towns”, gehören de facto aber zur “Greater Wellington Area” und werden von vielen Neuseeländern einfach als Vororte von Wellington wahrgenommen. Beim Herausfahren aus der Hauptstadt erscheint einem das definitiv auch so.
Man kennt sich, man sieht sich, man kontrolliert sich. “Von der Sozialstruktur her ist die Kleinstadt durch eine Form partieller, auch gruppenspezifischer, sozialer Kontakte geprägt. Dies ermöglicht im Gegensatz zu den Kernstädten innerhalb großer Agglomerationen einen überschaubaren Wahrnehmungsraum. Gleichzeitig dient die soziale Kontrolle auch als Instrument der Eingliederung des Einzelnen in eine territoriale Gruppe,” sagt E. Lichtenberger etwas verschwurbelt in seinem Werk “Stadtgeografie”.
Eine Kleinstadt hat eine eigene Regierung und Verwaltung (den “town council”), eigene Schulen, einen eigenen Markt (oder mehrere) und oft auch einen wirtschaftlichen Schwerpunkt: In Neuseeland ist das häufig der Tourismus. Viele neuseeländische Kleinstädte sind mit einem ganz besonderen Merkmal im Reiseführer zu finden: Da gibt es die witzigen tierförmigen Wellblech-Häuser von Tirau, die Reproduktion des Wandteppichs von Bayeux in Geraldine oder einfach den Fakt, der südlichste/nördlichste/östlichste Ort des Landes zu sein.
Eine Spezialität von Kleinstädten, die all das nicht sind, scheint das Aufstellen und Promoten gigantischer Skulpturen von Tieren, Früchten oder Gemüsen zu sein. So kennt der normale Tourist den Flecken Gore nur wegen der großen weltgrößten Forellenstatue (nicht zu verwechseln mit dem weltgrößten Riesenlachs in Rakaia!) und das Nest Taihape für den Wellblech-Gummistiefel, der den Ort als “Weltgummistiefelhauptstadt” deklariert.
Das Beispiel von Tirau kann dabei exemplarisch für viele andere, ja eigentlich für “die neuseeländische Kleinstadt” an sich gesehen werden: Bedroht von Einwohnerschwund durch Urbanisierung und Zentralisierung, als alle wichtigen Einrichtungen nach und nach zumachten und das Städtchen in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden drohte, nahm ein energischer Unternehmer mit einer Vision die Sache in die Hand: Henry Clothier machte aus dem “general store” ein Antiquitätengeschäft und aus den ehemaligen Stadtratshäusern ein Konferenzzentrum, um Unternehmen anzulocken.
Als sich wenig später ein “Wollzentrum” in Tirau ansiedelte und die Idee mit dem Wellblech-Schaf hatte, bastelte Henrys Sohn Steven nicht nur das passende Info-Häuschen in Hundeform dazu, sondern Wellblechschilder für alle Geschäfte in Tirau. Schon bald konnte er sich über Aufträge aus dem ganzen Land und sogar aus Übersee freuen. Für die Kirche von Tirau konstruierte Steven schließlich einen “Hirten”, der über Hund und Schaf wacht. Willkommen, Besucher!
So ist die typische neuseeländische Kleinstadt immer auch ein Zeichen für das Bestreben ihrer Bewohner, mehr als ein “Punkt auf der Landkarte” zu sein. Der Beweis: Die “list of towns in New Zealand” bei Wikipedia verzeichnet zig Kleinstädte; und jeder Name (bis auf drei – die letzten weißen Punkte!) führt zu einem Eintrag.
Für Besucher äußert sich dieser Stolz der Kleinstadt-Bewohner und das Bemühen um “ihre Stadt” in überraschend gepflegten Stadtparks mit Aviarien, Spielplatz- und BBQ-Paradiesen, engagierten kleinen Museen, liebevoll angelegten Wanderwegen im Stadtgebiet, kreativen (und aktuellen!) Websites, privaten Showcases und öffentlich zugänglichen Gärten.
Egal ob man nach Snells Beach (3.200 Einwohner), Hanmer Springs (729 Einwohner) oder Balclutha (4.000 Einwohner) kommt – irgendetwas wird man immer stolz präsentiert bekommen, von freundlichen Menschen, die sich freuen, dass jemand in ihre Stadt kommt. Es wäre eine Schande, wenn man in Neuseeland nur Natur und Abflughäfen anschauen würde – die Kleinstädte sind hier die wahren Überraschungen!
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[…] Nachtrag: Vom anderen Ende der Welt, aus Neuseeland, berichtet Jenny – und zwar gleich in mehrfacher Ausführung! Sie stellt gleich eine ganze […]
[…] Weltwunderer – Small is beautiful – oder wenigstens interesting: Neuseelands Kleinstädt… […]
Ach wie schön – die kleinen Städte in Neuseeland, die oft irgendwas Verrücktes haben wie übergroße Skulpturen, haben mir auch total gut gefallen! (In der Gummistiefelstadt war ich auch! ;-)) Viele kleine Städte in Eurem Post kenne ich wiederum gar nicht – da bekomme ich total Lust, gleich wieder hinzufahren! Danke fürs Mitmachen bei der Blogparade – der Artikel wird gleich verlinkt!