! Aktualisiert am 15. Juli 2021
Während sich über Japan oder Island, wo man Wale und Delfine schlachtet, weltweite Verachtung ergießt, dürfen die Neuseeländer vom Aussterben bedrohte Tiere essen. In Massen. Die Rede ist von Whitebait in Neuseeland – den wir zumindest in den nächsten Jahren nicht (mehr) essen werden.
Update: Aus Diskussionen auf Facebook erkenne ich, dass sich bestimmte Menschen an dem Begriff “sollte” aufreiben. Ich möchte mit diesem Beitrag informieren und euch aufzeigen, welche Bedeutung auch kleine Entscheidungen als Reisende haben können. Mitnichten möchte ich jemandem Vorschriften machen, Gott bewahre. Ich habe deshalb die Überschrift dieses Beitrags geändert, um niemandem mit meinem erhobenen Zeigefinger Angst zu machen. ;-)
WTF ist Whitebait?
Whitebait, das sind winzige durchsichtige Fischchen, die jedes Frühjahr in Massen Neuseelands Flussläufe hinabschwimmen. Aus ihnen wachsen später einmal die einheimischen Fisch-Arten Kokopu, Koraro und Inanga heran – wenn man ihnen die Chance dazu gibt.
In Neuseeland gehört es aber für viele Menschen zum Pflichtprogramm, vom 15. August bis zum 30. November in Regenkleidung (-> Frühling -> viel Regen) an Flussufern und -mündungen zu hocken und riesige Kescher durchs Wasser zu ziehen. Die Profis haben feste kleine Hütten auf Stege gebaut und große Reusen installiert. Sie alle verbringen in diesen Monaten viel Zeit mit Warten, denn niemand kann voraussagen, wo die Whitebait-Schwärme auftauchen werden und in welcher Stärke.
-> Ihr wollt es genauer wissen? Die Neuseeland-Enzyklopädie Te Ara weiß alles über die Geschichte des Whitebaiting in Neuseeland.
Das macht genau den Kick des “whitebaiting” aus – die wilde Hoffnung auf den großen Fang, die zahlreichen klugen Prognosen, die Expertenmeinungen… Was in Deutschland der Fußball ist, ist in Neuseeland der Whitebait. Geld wird damit ebenfalls in enormem Ausmaß umgesetzt – für ein Kilo Whitebait, tiefgefroren, werden um die 80 NZ$ verlangt.
Whitebait gilt in ganz Neuseeland als Delikatesse. In der Saison und solange der Vorrat danach reicht, werden Gerichte aus diesen Fischchen in schicken Restaurants und einfachen Take-aways im ganzen Land angeboten. „Whitebait patties“ sind ein neuseeländisches Nationalgericht.
-> Food-Reisebloggerin Julia hat Whitebait in Neuseeland verkostet und für gut befunden
Warum wir keinen Whitebait in Neuseeland (mehr) essen werden
“Do what the locals do”, diese Maxime empfehlen wir gern. Wenn es um den Verzehr von Whitebait geht, müssen wir allerdings warnen: Macht es lieber nicht wie die Neuseeländer!
Die sind so versessen auf ihr Nationalgericht, dass sie sämtliche Warnungen von Naturschützern und Wissenschaftlern geflissentlich überhören. Und die werden immer drängender: Jedes Jahr melden sie weiter schwindende Bestände. Inanga, Kokopu und Koara sind ohnehin bereits bedroht durch die zunehmende Wasserverschmutzung, das Verschwinden von kleinen Flüssen und die räuberische Forelle, die in Neuseeland prächtig gedeiht.
-> Die Umweltschutzorganisation Forest and Bird warnt schon seit über zehn Jahren vor schwindenden Whitebait-Beständen, etwa in diesem Beitrag.
Kommen noch die Whitebait-Fischer dazu, wird es eng. Dabei weiß kein Mensch, wie viel Whitebait überhaupt jedes Jahr wo genau weggefangen wird, zu welcher Fischart die Jungfische gehören und wie viele überleben müssen, um die nächste Fisch-Generation zu bilden.
Um Neuseelands Nationalgericht vor dem Aussterben zu retten, muss der Fang von Whitebait in Neuseeland sofort für mehrere Jahre eingestellt werden. Das fordern Umweltschutzorganisationen, die Regierung hört aber weg. Oder, um es in der Rhetorik unserer deutschen Regierung zu formulieren: “Das kann man doch den Wählern nicht zumuten!”
Bisher werden die Fischlein nur durch Fangfristen geschützt, die vom 15. August bis zum 30. November (an der Westcoast erst ab dem 1. September und nur bis zum 15. November) gelten. Daneben sind „whitebaiter“ fast keinen weiteren Beschränkungen unterworfen: Wer einen Kescher besitzt und eine Stelle am Flussufer findet, der darf Whitebait in Neuseeland fangen und weiterverkaufen, so viel er will.
(Hier sind die offiziellen Regeln des DOC, wer genau nachlesen will.)
Vier der fünf Fischarten, deren Nachwuchs als Whitebait gefangen wird, sind ähnlich bedroht in ihrem Bestand wie der Brown Kiwi auf der Nordinsel. Mit anderen Worten: Sie sind vom Aussterben bedroht. Und doch erscheinen sie auf den Speisekarten im ganzen Land?!
Als wir in Neuseeland waren (und “whitebait patties” gegessen haben, die nicht mal besonders gut schmeckten), war uns das Problem noch nicht bewusst. Wir konnten deshalb nicht nachfragen, was die Leute darüber denken. Ich kann es mir aber gut vorstellen, denn Whitebait essen ist im Prinzip nichts anderes als Rauchen oder Auto fahren.
Eine lieb gewordene Gewohnheit, die man “schon immer so macht”, die vielleicht sogar als kulturelle Besonderheit empfunden wird, gibt man so schnell nicht auf. Da wird lieber geleugnet, weggeschaut oder rationalisiert – die Fake-Argumente liefert immer irgendjemand auf Facebook. (Die hitzigen, teilweise richtig bösartigen Kommentare in einer Neuseeland-Reisegruppe zu diesem Beitrag belegen meine Theorie aufs Schönste.)
Ein reines Verkaufsverbot von Whitebait dürfte einen florierenden Schwarzmarkt für die begehrten Fischchen erzeugen, befürchtet die Naturschutz-Organisation „Forest and Bird“. Um die Delikatesse für zukünftige Generationen zu retten, sind zwei Dinge unumgänglich: mehr Forschung über den Lebenszyklus und die genaue Verbreitung der bedrohten Fischarten und ein Moratorium auf den Verzehr von Whitebait.
Bis dahin haben wir als Reisende nur eine moralische Option: mit der Geldbörse abstimmen und auf „whitebait patties“ in Neuseeland verzichten.
(Neuseeländische Nationalgerichte, die nicht auf bedrohten Tierarten basieren, findet ihr im Neuseeland Kochbuch zur Genüge!)
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Einerseits prima dieser Artenschutzgedanke. Andererseits sind die Neuseelaender ja nicht doof – in keinem anderen Land habe ich so engagierte Naturschuetzer und ein Bestreben gesehen die einheimische Natur zu schuetzen wie in Neuseeland, also kann es so schlimm wohl noch nicht sein…
Hallo Tom,
viele NeuseeländerInnen bemühen sich sehr um Artenschutz und lieben ihre Natur. Aber das tun auch viele Deutsche, und trotzdem sterben bei uns die Singvögel und Insekten aus. Das will ja niemand wirklich, und doch passiert es – weil wir unseren Lebensstil nicht ändern wollen. In Neuseeland leben auch nur Menschen, und denen geht es ganz genauso: Niemand will, dass Tierarten aussterben. Aber niemand will halt auch auf sein Lieblingshobby im Frühling verzichten, sich vorschreiben lassen, was er essen soll…
Schlimm ist die Lage auf der ganzen Welt. Und ganz offensichtlich sind die Menschen auf der ganzen Welt zu doof, um das zu erkennen und zu ändern :-/
Viele Grüße
Jenny